Wieviel Sprache braucht erfolgreiche Integration?

veröffentlicht von Esmeralda
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Das Thema Integration wird momentan heiss diskutiert und die enthaltenen Emotionen sind leider nicht immer angetan, die gesellschaftliche Debatte zu bereichern. Ich nehme mir heute einfach einmal die Sprache als integralen Bestandteil gelungener Integration vor.

Sprache ist und war schon immer ein Maßstab. Menschen werden aufgrund von Formulierungen, die sie benutzen, einem sozialen Umfeld zugeordnet. Man kann sich durch Sprache als gebildeten Menschen darstellen, als Fachmann, als Jugendlicher - auch als dumm oder minderbegabt. Jeder weiss, dass Kinder im Kindergartenalter ein verhältnismäßig begrenztes Vokabular und nicht unbedingt fundierte Grammaktikkenntnisse haben, dass Jugendliche sich einer Sprache bedienen, die Erwachsene an den Rand der Verzweiflung treiben kann, dass Ärzte sich gerne mal hinter ihrem Fachvokabular verschanzen, dass man einen Juristen braucht, um einen anwaltlichen Schriftsatz zu verstehen. Sprache hat viele Dimensionen und viele Facetten. Und da ist die Frage berechtigt, wieviel von der Sprache man denn verstehen können muss, wenn man in einem Land lebt, dessen Landessprache eben nicht die eigene Muttersprache ist und die man deshalb erlernen muss.

Wichtig ist es sicher, mit dem Alltag zurechtzukommen. Was braucht man denn so, jeden Tag? Nun, man sollte einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Das dazu notwendige Vokabular sollte man also beherrschen. Je nach Art der Tätigkeit ist eine gröbere oder feinere Beherrschung der Grammatik vonnöten. Eine Reinigungskraft wird sicherlich geringere (und auch völlig andere) Sprachkenntnis nötig haben als das bei Ingenieuren der Fall ist. Schon normale Durchschnittsangestellte werden bei falscher Verwendung von Artikeln, dem Suchen nach Worten, bei missverständlichen Formulierungen erst einmal für dumm gehalten - egal, ob die Sprache, die sie sprechen nun ihre Muttersprache ist oder nicht. Für die Anerkennung am Arbeitsplatz ist also je nach Anspruch an die Tätigkeit ein recht hohes Maß an Sprachbeherrschung gefragt.

Weitere tägliche Bedürfnisse bestehen in Ernährung, Kleidung, Personentransport, Befriedigung kultureller Bedürfnisse (Kino, beispielsweise); dem üblichen Kleinkram halt. Supermarkt und Bekleidungsgeschäfte sind sehr wahrscheinlich sogar völlig ohne Sprachkenntnisse zu bewältigen, wenn man nichts unmäßig Spezielles möchte. Auch im Erwerb von Körperpflegemitteln sehe ich nicht die besonders große Hürde. Und eine Bus- oder Bahnfarkarte sollte ebenfalls relativ einfach zu besorgen sein (zumal die Automaten der DB tatsächlich die eine oder andere Fremdsprache anbieten, im Gegensatz zum Schalterpersonal). So sollte die Bewältigung des Alltags eigentlich unproblematisch sein, wenn man sich in seinem Job sprachlich einigermaßen auskennt.

Deutlich problematischer wird es bei Behörden. Die Formulare, die es auszufüllen gilt (Einkommensteuererklärung, Kindergeldantrag, etc.), sind schon für Muttersprachler teilweise kaum verständlich. Wer da die Sprache nicht gut beherrscht und keine Freunde hat, die mit Behördenformularen umzugehen wissen, der geht schweren Stunden entgegen.

Aussprachefehler (der "Akzent") werden sehr unterschiedlich beurteilt: Beispielsweise werden Menschen, die Englisch oder Französisch zur Muttersprache haben und bei denen das in der deutschen Aussprache durchklingt, vermutlich keine bis wenig Verständigungsschwierigkeiten haben und auch als "gleichwertig" wahrgenommen werden. Ganz anders ist das, wenn der Akzent auf eine eher orientalische Herkunft schließen läßt oder der Sprecher aus Osteuropa zu stammen scheint. Solche Menschen sehen sich oft einer deutlich wahrnehmbaren Abwehrhaltung gegenüber, die auf Misstrauen gründet und bei entsprechend mangelhafter Kommunikation auch in offene Ablehnung münden kann, je nachdem woher man denn nach Deutschland kommt. Das ist übrigens in anderen Ländern auch so, die Deutschen sind hier also völlig normale Menschen wie alle anderen auch, geprägt durch die eigene Erfahrung ebenso wie durch die der Vorfahren und daraus entstandenen Vorurteilen und pauschalen Beurteilungen von ganzen Volksgruppen.

Die Bundesregierung erwartet von Menschen, die sich in Deutschland einbürgern lassen möchten, ausreichende Deutschkenntnisse. Wer dem Link folgt, wird feststellen, dass damit das Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens gemeint ist. Der erfordert nichts Unmögliches, aber doch noch einige Fähigkeiten, die über die reine sprachliche Selbstverteidigung hinausgehen, nämlich:

[...] über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

Und das finde ich gut! Es ist in meinen Augen immens wichtig, dass jeder, der in Deutschland lebt und dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, unbedingt in der Lage sein sollte, solche Dinge zu kommunizieren. Denn das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um Vorurteile abzubauen, um Menschen zu verstehen, um kulturelle Unterschiede zu verstehen, zu akzeptieren und da, wo wir sie nicht akzeptieren können oder wollen, zu erklären, warum das so ist.

Deswegen gehe ich sogar so weit, dass Arbeitgeber, die Arbeitnehmer aus dem Ausland einstellen, meiner Ansicht nach verpflichtet werden sollten, dafür zu sorgen, dass diese Menschen auf diesem Niveau in deutscher Sprache kommunizieren können. Eine multikulturelle Gesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn Menschen ausgeschlossen werden. Ich sehe, wenn ich ehrlich sein soll, nicht ein, weswegen hier das "Verursacherprinzip" nicht gelten sollte: Wer die Leute braucht, weil es in Deutschland keine Arbeitskräfte gibt, die die anstehende Arbeit verrichten (oder verrichten wollen), der hat auch dafür zu sorgen, dass die Probleme, die sich für die Gesellschaft daraus ergeben, auf ein Minimum reduziert werden.

Anders verhält es sich natürlich mit Menschen, die nicht nach Deutschland kommen, weil sie einen Arbeitsvertrag haben. Familienmitglieder, Leute, die sich in Deutschland niederlassen möchten, weil sie hier bessere Chancen auf ein glückliches, erfülltes Leben sehen, Ehefrauen und -männer sowie die Kinder deutscher Staatsbürger, Abkömmlinge von deutschen Staatsbürgern, die seit Generationen im Ausland gelebt haben (Aussiedler) und auch Asylsuchende, die nicht die notwendigen Sprachkenntnisse mitbringen, werden auf die Unterstützung durch die Gesellschaft angewiesen sein, wenn sie den Spracherwerb nicht selbst finanzieren können.

An diesem Punkt stellt sich einfach die Frage, wie wichtig unserer Gesellschaft die Integration von Menschen ist, die nach Deutschland kommen, um über einen längeren Zeitraum oder dauerhaft hier zu leben. Wie wichtig ist es für uns, dafür zu sorgen, dass auch diese Menschen in unserem Land ein erfülltes, glückliches, sorgenfreies Leben führen können? Wie wichtig ist es für uns, dass diese Menschen als eine Art "kultureller Multiplikator" agieren können, dass sie nicht nur Alltagsgeschäfte erledigen können, sondern auch von sich erzählen, von ihrem Herkunftsland, davon, wie die Unterschiede zwischen "hier" und "dort" aussehen? Wie wichtig ist es uns, diese Menschen in die Lage zu versetzen, uns zu verstehen, unsere Bedürfnisse, unsere Werte und Normen? Wie wichtig ist es uns, in diesen Menschen Verständnis für uns zu erzeugen, anstatt einfach nur Anforderungen zu formulieren? Mir persönlich ist das so wichtig, dass ich nichts dagegen habe, wenn darein Steuergelder investiert werden. Das ist aber eine gesellschaftliche Frage, die wir auch im gesellschaftlichen Diskurs zu klären haben und die ich hier bestimmt nicht allgemeingültig beantworten möchte.

Einen wesentlich starreren Standpunkt vertrete ich, wenn es um Kinder geht. Hier haben wir staatlicherseits Verpflichtungen, die sich aus der allgemeinen Schulpflicht ergeben. Wer jeden, der in Deutschland lebt, dazu verpflichtet, sein Kind in die Schule zu schicken und darüberhinaus die Amtssprache zur Unterrichtssprache erklärt (was in meinen Augen vollkommen in Ordnung ist), der hat auch dafür zu sorgen, dass diese Kinder nicht allein gelassen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass ich selbst zwei "Migrantenkinder" in Deutschland einschulen musste, habe ich hier Einblicke bekommen, die eine gewisse Arroganz der deutschen Behördlichkeit gegenüber Fremdsprachlern doch vermuten lassen. Sicher, Kinder, die in Deutschland eingeschult werden und deren Muttersprache nicht Deutsch ist, bekommen Förderunterricht; bei nicht-deutschen Muttersprachlern und Aussiedlern beschränkt sich das nach einem Dokument (PDF), das die staatliche Schulberatung in Bayern herausgibt, im Förderunterricht "Deutsch als Zweitsprache" auf satte 3 - 4, im Förderunterricht "Deutsch" auf 1 - 2 Wochenstunden. Die Tabelle zeigt übrigens, dass die Bemühungen in Bayern recht intensiv sind; was sie nicht zeigt, ist, ob die Schulen, an denen dieser Unterricht stattfinden soll, überhaupt geeignete Lehrer und die notwendigen Lehrerstunden zur Verfügung haben. Daran habe ich, die ich meine beiden "Migranten" in Bayern durch die Schule bekommen musste, doch meine gewaltigen Zweifel. Anders ausgedrückt: Ich glaube nicht, dass diese Übersicht die Realitäten widerspiegelt. Und ob die "Migrantenkinder" die Gelegenheit bekommen, ihren deutschen Klassenkameraden etwas von sich zu erzählen (das könnte man in der Grundschule ja prima im Sachunterricht verpacken), das darf auch bezweifelt werden.

Selbst wenn all diese wohlgemeinten Pläne an allen Schulen im ganzen Land durchgeführt werden, muss man damit rechnen, dass sie nicht aufgehen. Das bayerische Kultusministerium rechnet auch explizit damit und formuliert in dem Dokument "Grenzen der Förderung" folgende Sätze, die ich schwer zu verzeihen vermag:

[...]Trotz vielfältiger Fördermaßnahmen stellt sich jedoch nicht bei allen ausländischen Schülern der gewünschte Schulerfolg ein. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass eine große Anzahl ausländischer Familien - trotz der Tendenz zum Daueraufenthalt - im täglichen Umgang überwiegend die Muttersprache benützt, sich in die eigene Kultur und Religion zurückzieht und von daher die Förderung der ausländischen Schüler in der deutschen Sprache nicht nachhaltig genug unterstützt wird.[...]

[...]Schule ist auf einen regelmäßigen und dauerhaften Unterricht hin ausgerichtet. Aus dem hohen Anteil der Quer- und Seiteneinsteiger erwächst trotz intensiver Fördermaßnahmen das Problem, dass bei einer Verweildauer von nur wenigen Schuljahren die Ziele der bayerischen Hauptschule nicht voll erreicht werden können und die staatlichen Eingliederungsbemühungen an den Schulen an Grenzen stoßen.[...]

Zudem ist die Schule allein nicht in der Lage, eine vollständige Integration und Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher zu gewährleisten, wenn diese Bemühungen von den Familien - aus welchen Gründen auch immer - nicht mitgetragen oder gar boykottiert werden.[...]

Dieses Dokument weckt in mir das Grauen. Wenn also die Familien der Kinder nicht mitziehen, lässt man die Kinder allein. Und was die hier angeforderte Mitarbeit bedeutet, das wird von der Schule diktiert - so jedenfalls meine Erfahrung und die der meisten Eltern von Migrantenkindern in meinem Bekanntenkreis. Was das Kultusministerium anbelangt, so ist ein essentieller Teil von "Mitziehen" jedenfalls die Nutzung einer Fremdsprache in der familiären Umgebung. Will heißen: Menschen, die die Sprache selbst nicht sicher beherrschen, sollen sie zuhause anwenden, auf dass ihre Grundschulkinder genau die Fehler einschleifen, die sie selbst machen? Geht's noch? Abgesehen davon: Wie unwohl würde sich der geneigte Leser wohl fühlen, wenn er auf einmal mit seiner Familie in einer Fremdsprache kommunizieren müsste, weil die Regierung des Landes, in das er eingewandert ist, das verlangt? Meine Empörung ob dieses Dokuments kennt keine Grenzen - aber das ist bei den meisten Forderungen so, die in Bayern von Kultusministerium und Schulen an die Eltern gestellt werden.

Jetzt bleibt nur noch die Frage zu klären, ob wir als deutsche Gesellschaft, als deutscher Staat die erwachsenen Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, "zwingen" sollten, unsere Amtssprache zu erlernen. Das ist natürlich eine Entscheidung, die nicht gar zu leichtfertig getroffen werden sollte. Ich selbst, die ich neun Jahre meines Lebens in Paraguay verbracht habe und mitangesehen habe, wie Deutsche, die nach Paraguay kamen und die Landessprache nicht beherrschten, an ihrem "neuen Leben" schon der fehlenden Sprachkenntnisse wegen kläglich versagt haben, bin schwer dafür, dass jeder, der hier auf Dauer leben möchte, zumindest die B1-Kenntnisse erwerben müssen sollte. Worauf ich mich ungern einlasse, sind Zeitvorgaben, denn Lernen ist ein sehr individueller Vorgang. Wenn man also Zeitvorgaben macht, sollten diese großzügig gestaltet sein und auf jeden Fall den stufenweisen Erwerb der Sprache vorsehen. Nichtsdestoweniger sollten wir darauf bestehen, um a) die Einwanderer hier heimisch zu machen und b) uns selbst der Möglichkeiten nicht zu berauben, die diese Menschen aus ihrer Heimat zu uns bringen. Wir können viel voneinander lernen - wenn wir miteinander sprechen können. Eine Sprache, die wir gemeinsam nutzen können und die von der weit überwiegenden Mehrzahl der Einwohner dieses Landes gesprochen wird, ist dafür einfach unabdingbar.

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