Reine Spekulation

veröffentlicht von Esmeralda, 4 Kommentare

Nachdem ich jetzt schon von mir gegeben habe, was ich bezüglich des Herrn Freiherr von und zu Guttenberg persönlich denke, gebe ich mich jetzt der Spekulation bezüglich der Gründe für die "Affäre" hin.

Politiker sind, das wissen wir alle, ein sehr spezieller Menschenschlag. Jeder von uns weiss, dass Politiker nicht viel Zeit haben, um der Öffentlichkeit ihre Inhalte zu vermitteln und auch nicht immer die Möglichkeiten haben, sich mit ihren Ansichten durchzusetzen. Das führt dazu, dass wir genau das Bild von Politikern bekommen, das wir haben: Kurzsichtige, engstirnige und schlecht informierte Leute, die eigentlich nur an ihrer eigenen Wichtigkeit interessiert sind.

Die Tatsache, dass Herr Freiherr von und zu Guttenberg seine Doktorarbeit mehr oder weniger zusammengemauschelt zu haben scheint, passt da großartig ins Bild. Er scheint die Doktorarbeit nicht aus wissenschaftlichem Interesse geschrieben zu haben, sondern - das sagt er selbst - nebenher, eben um die Doktorwürde (sic!) zu erlangen. Die Menschen in diesem Land empfinden das wahrscheinlich als "nicht so schlimm", weil wir uns sehr daran gewöhnt haben, dass unsere Politiker es sich einfach leisten, mehr zu scheinen als zu sein.

Auch unter Politikern ist dieser Mut zur Unschärfe und das Bekenntnis zur Außenwirkung sehr bekannt und wird mindestens geduldet. Nach dem Motto "Keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus" wird auch niemand an dem Anschein kratzen, den ein anderer erwecken möchte - zu gross ist die Gefahr, dass daraufhin das Bild ins Wanken gerät, das man von sich selbst etabliren will. In der Folge hat es immer einen Grund, wenn aus dem erlauchten Kreise der Politiker heraus an dem Image gekratzt wird, das einer von ihnen von sich selbst zu vermitteln sucht. Was also mag der Grund sein, dass ausgerechnet Herr Freiherr von und zu Guttenberg gerade jetzt so angegriffen wird? Warum sollen die Illusionen, die wir uns bezüglich seiner Person gemacht haben, so gründlich und so nachhaltig zerstört werden?

Dann sehen wir uns mal an, was dieses Mannes derzeitiges Projekt ist und kommen sofort auf die Reform der Bundeswehr. Der öffentliche Kernpunkt dieser Reform ist die Abschaffung der Wehrpflicht, die ja allgemein auf Zustimmung stösst. Diese Massnahme, so begrüßenswert sie auch ist, hat aber einen ganz gravierenden Nachteil: Die Abschaffung des Zivildienstes. Und da liegt ein Hase im Pfeffer, über den offensichtlich niemand reden will und von dem unser Verteidigungsminister bereits gesagt hat, dass er sich für die Lösung dieses Problems a) nicht interessiert und b) nicht zuständig hält. Guckschau.

Riskieren wir also mal einen Blick auf den Zivildienst an sich und darauf, wo die Zivis unsere Gesellschaft derzeit unterstützen; ich stütze mich da mal auf das Zahlenmaterial des Bundesamts für Zivildienst:

Deutschlandweit sind rund 50.000 Zivildienstleistende im Einsatz; benötigt würden sogar rund 100.000. Wer jetzt meint, dass diese Menschen nur in Krankenhäusern die Bettpfannen leeren oder mal einen Krankenwagen fahren, der hat weit gefehlt. Zivildienstleistende arbeiten in folgenden Bereichen (absteigend nach Einsatzhäufigkeit):

  • Pflegehilfe und Betreuungsdienste
  • handwerkliche Tätigkeiten
  • Versorgungstätigkeiten
  • Tätigkeiten im Umweltschutz
  • Tätigkeiten im Krankentransport und Rettungsdienst
  • gärtnerische und landwirtschaftliche Tätigkeiten
  • Mobile soziale Hilfsdienste
  • Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung von Kindern
  • Kraftfahrdienste
  • Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung
  • kaufmännische und Verwaltungstätigkeiten
  • Spitzensportler

Es gibt inzwischen Dienstleistungen, die ohne Zivildienstleistende nicht mehr oder nur noch sehr schwer und unter massiver Erhöhung der ohnehin schon knapp vorhandenen öffentlichen Mittel zu betreiben wären. Zivis sind überall: In Krankenhäusern, in Jugendherbergen, in Schwimmbädern, überall dort, wo Tätigkeiten zu verrichten sind, die der Allgemeinheit nutzen. Die Zahlen sind jetzt nicht wirklich berückend. Wenn man aber mal hinhört, was die Kommunen so von sich geben, dürfte der Wegfall dieser Mitarbeiter auf Zeit in manchen Städten die reine Katastrophe bedeuten.

Städte und Gemeinden werden also an der Abschaffung des Zivildienstes nicht das allergeringste Interesse haben, zumal die Hoffnung auf Menschen, die diesen Dienst freiwillig verrichten würden noch geringer ist als die auf solche, die sich freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr melden. Dieses der Öffentlichkeit so mitzuteilen ist nicht opportun, denn die Menschen finden die Abschaffung der Wehrpflicht zugunsten einer kleinen, weit kostengünstigeren, dafür aber effizienteren Freiwilligenarmee gut. Es ist also wirklich leicht, gegen die Wehrpflicht zu argumentieren und es grenzt an politischen Selbstmord, wenn man mit der Zivildienstpflicht dafür argumentiert.

Vor diesem Hintergrund ist es natürlich praktisch, wenn man den Herrn Bundesverteidigungminister momentan ein bisschen nett in der Zange hat. Wenn der geneigte Leser mich fragt, dann wird Herr Freiherr von und zu Guttenberg vor der Wahl stehen, die Abschaffung der Wehrpflicht aus seinen Plänen auszunehmen oder auf weitere politische Arbeit zu verzichten. Sollte er tatsächlich zurücktreten, so gehe ich davon aus, dass es keine zwei Wochen dauern wird, bis die Aussetzung der Wehrpflicht zurückgenommen wird. Und ich bin sehr gespannt darauf, wie uns das argumentativ präsentiert wird. Das Wort "Zivildienst" wird da garantiert nicht fallen, und wenn die Erklärung dadurch noch so abstrus wirkt.

Dass man praktischerweise nebenher noch den Höhenflug eines Politikers dämpft, der in der öffentlichen Meinung gerade allen anderen weit voraus ist, mag dabei auch eine Rolle spielen - ich denke aber, dass die untergeordnet ist.

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