Warum ich im Frankfurter Kollegium bin

veröffentlicht von Esmeralda, 14 Kommentare

Ich bin Gründungsmitglied des Frankfurter Kollegiums in der Piratenpartei. Die Tatsache, dass wir in der Tat einen solchen Verein gegründet haben, stößt bei so manchem Piraten auf Unverständnis. Deshalb erzähle ich hier, was meine persönlichen Gründe waren, diesem Verein beizutreten.

Seit einiger Zeit fühle ich mich nicht mehr richtig wohl in der Piratenpartei. Ich hatte das Gefühl, inhaltlich nicht mehr wirklich arbeiten zu können, fühlte mich daran gehindert, meine Ideen und Gedanken zu entwickeln. Gemerkt habe ich es, als ich mal einen Artikel angefangen habe, in dem ich mich darüber äußern wollte, wie ich zum Thema Feminismus stehe. Ich habe zwei Absätze geschrieben und festgestellt, dass ich dafür zwar vielleicht Zustimmung bekommen würde von Menschen, die sowieso dieselben Ansichten hegen wie ich, aber von denjenigen, die innerhalb der Partei den Begriff und seine Auslegung für sich gepachtet haben, keinerlei sachliche Diskussion zu erwarten habe. Nun schreibe ich eigentlich nicht, um Zustimmung zu erhalten - aber eben auch nicht, damit Leute sich unmäßig aufregen müssen. Der Idealfall (der übrigens trotz allem selten eintritt) wäre eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema, wenn's richtig gut läuft vielleicht ein paar neue Impulse. Das war nicht zu erwarten. Ich habe den Text nicht veröffentlicht und fühlte mich dabei ziemlich schlecht.

Es ging dann mit der Zeit weiter mit vielen, vielen Tweets, die ich nicht abgeschickt habe, Themen, mit denen ich mich nicht mehr auseinandersetzen wollte, weil sie in fast schon fanatisch-religiöser Art von einer mehr oder weniger scharf begrenzten Gruppe von Menschen innerhalb der Partei besetzt waren und eine wirkliche Diskussion ganz offensichtlich nicht mehr möglich. Beim leistesten Versuch, irgendetwas zu diskutieren, was in diese Kategorie fällt, wurde jeder, der es versucht hat, auf Twitter mit viel Energie und Manpower zum Schweigen gebracht. Für mich ergab sich daraus die Konsequenz, dass ich innerhalb der Partei, der ich beigetreten war, weil sie für freie Meinungsäußerung steht, nicht mehr unbeschränkt sagen konnte, was ich denke.

Der Prozeß an sich war schleichend, aber irgendwann habe ich mich dabei erwischt, tatsächlich auch Themen zu vermeiden, bei denen ich mit dieser Gruppe nicht einer Meinung war oder die ich gerne etwas ausführlicher diskutiert hätte, weil ich dachte, ich hätte kein Recht, dazu etwas zu sagen. Ich hatte das Gefühl, mit meinen Ansichten allein zu stehen und war schon so weit, dass ich mich ernsthaft gefragt habe, ob ich in der richtigen Partei bin.

Und da kamen die Leute auf mich zu, die vorhatten, innerhalb der Piratenpartei eine sozialliberale Gruppierung anzustoßen. Mir gefiel die Idee, in einer Gruppe zu arbeiten, in der wir Gedanken und Ideen gemeinsam entwickeln könnten. Das Manifest war in Arbeit, daran habe ich also auch mitgearbeitet. (Kleiner Exkurs für Nadine: Mir war (und ist) es hier und da auch ein bißchen arg pathetisch-pompös formuliert, aber die Kernaussage stimmt und es steht nichts drin, woran ich mich stoßen würde, also konnte ich's problemlos mit unterschreiben.) Die Satzung war in Arbeit, hier habe ich mich nicht groß beteiligt, weil ich solche Formalgeschichten ungern mache. Daran, dass das Kollegium als Verein gegründet werden sollte, habe ich mich nie gestört - dazu weiter unten noch mehr. Am Schluß kam noch der Verhaltenskodex, bei dem ich mir nicht ganz sicher war, ob er nötig wäre - aber ich sehe gerade jetzt, wo der Shit wieder einmal stürmt, wie wichtig es ist, sich auch im Umgang miteinander auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen.

Das mit dem Verein

Die Entscheidung, dass das Kollegium als Verein und eben nicht als AG, IG, SonstigeG gegründet werden sollte, war schon gefallen, als ich dazukam. Ich fand die Idee recht charmant, denn das, was mich an den Gruppen innerhalb der Partei immer gestört hat, war, dass man so lange in Ruhe arbeiten konnte, wie die Ergebnisse nicht dazu taugten, dass man sich damit profilieren konnte. Trat aber dieser Fall ein, gab es immer wieder gerne einen lautstarken Zank darum, wer denn dieses Thema besetzen dürfe und wie, oft genug von Leuten initiiert, die relativ spät zu der Gruppe dazugestoßen waren oder von solchen, die in einer parallelen Gruppe zeitgleich gearbeitet hatten und baß erstaunt waren, dass es da noch jemanden gibt, der sich um dasselbe Thema kümmert, aber anders herangeht. Als sehr plakatives Paradebeispiel für diesen Fall sei der Zank um die AG Nuklearia genannt.

Und so haben wir uns entschieden, einen Verein zu gründen. Die Vorteile:

  • Das sieht garantiert jeder
  • Wir als Gruppe bestimmen die Regeln
  • Wir können unsere Themen erst einmal im kleineren Kreis diskutieren
  • Wir können auch mal sagen "Sorry, aber du paßt wohl nicht so ganz in diese Gruppe"

Das klingt aus Piratensicht zunächst mal wie Ketzerei, das ist richtig. Ich war aber sehr dankbar dafür, denn ich muß ehrlich zugeben, dass ich müde war. Ganz einfach hundemüde von diesen permanenten Erstickungsversuchen, wenn irgendjemand mal irgendein Thema wirklich tiefgreifend behandeln wollte und das irgendjemandem nicht in den Kram gepaßt hat, aus welchen Gründen auch immer. Ich war froh, hier in einer Umgebung zu sein, in der ich in Ruhe und Gelassenheit sagen konnte, was ich denke, ohne dass mich dafür irgendjemand einen Deppen oder Verräter geheißen hätte. Und ganz ehrlich: Ich genieße es, meine Muttersprache hier so benutzen zu können, wie sie gewachsen ist und wie ich mich an sie gewöhnt habe, ohne dass mir permanent irgendjemand mit Binnen-I, Unterstrich_in oder generischem Femininum in die Parade fährt. Ich kann meine Gedanken so zu Ende denken, wie ich sie denke und werde nicht dafür bestraft, dass ich etwas sage, weil ich es nicht so sage, wie irgendwelche Leute meinen, dass ich es sagen sollte.

Ich möchte, dass das so bleibt, für die gesamte Gruppe. Und die wird relativ groß werden, so wie es derzeit aussieht. Deshalb befürworte ich die Gründung des Vereins und auch die Tatsache, dass es einen Aufnahmekreis gibt. Nennt das gerne elitär, wenn ihr möchtet. Ich denke, dass der Schwarm so lange intelligent ist, wie die Schwärme, die darunterliegen, die Chance bekommen, sich zu entwickeln. Man kann diese darunterliegenden Schwärme auch "Flügel" nennen, aber dann klappt das mit dem Bild nicht mehr. ;o)

Und genau so, wie ein Schwarm von Heringen jetzt nicht gerade einen Hai aufnehmen würde, denke ich, dass wir, wenn wir wirklich an sozialliberalen Themen arbeiten möchten, auch dafür sorgen sollten, dass wir uns doch grob einig sind, wie diese Arbeit aussehen soll und dann aber auch in der Konsequenz so ehrlich sein sollten, zu sagen, wenn wir denken, dass jemand uns bei der Entwicklung unserer Themen stören würde - genauso, wie der Kegelklub mich mit meinen Ansichten über Feminismus und Quoten nicht dabeihaben wollen würde.

Ganz ehrlich: Ich finde, das ist ok. Wir können gern in Untergruppen, die verschieden aussehen und unterschiedlich groß sind, die Themen entwickeln, die wir dann letztlich in Form von Anträgen den verschiedenen Parteitagen vorlegen. Warum auch nicht? Und wir können das auch gern in relativ scharf abgegrenzten Gruppen machen, die jeweilige Organisationsform den einzelnen Gruppen überlassen und unsere Arbeitsergebnisse dann präsentieren.

Und das ist ja eigentlich auch schon das, was das Kollegium ist und sein möchte: Ein Zusammenschluß von Leuten, die einfach nur in Ruhe und Gelassenheit arbeiten können wollen.

Wir haben in keiner Weise vor, Eliten zu schaffen, irgendwelchen Lobbyisten Raum in der Piratenpartei zu verschaffen oder gar uns über die Partei, ihre Mitglieder und ihre Organe zu stellen, Gott bewahre! Das einzige, was wir tun wollen, ist tatsächlich so arbeiten, wie wir uns das vorstellen.

Ja, ich persönlich habe mich von diversen Gruppierungen innerhalb der Piratenpartei begrenzt, eingemauert, in die Ecke gedrängt und behindert gefühlt. Und ja, ich bin froh, dass ich dieses Gefühl jetzt im Moment nicht mehr habe, obwohl beispielsweise Alex sein Möglichstes tut, um mir auf Twitter genau dieses Gefühl wieder zu geben, mich mit Unterstellungen und wirklich boshaften Anwürfen wieder zurückzudrücken auf die Schiene, auf die er mich gehörig wähnt.

Ich habe fest vor, mich von genau diesen Leuten zu emanzipieren, die meinen, mir vorschreiben zu müssen, wie ich zu sein habe, um ein guter Pirat zu sein. Ich glaube nicht, dass irgendjemand versucht, mich wieder "auf Linie" zu bekommen, weil ich eine Frau bin. Ich fürchte eher, dass es hier mehr um das Sichern von Pfründen geht, darum, dass man seine persönlichen Idealziele erreicht zu haben glaubt und sich diese Illusion nicht nehmen lassen möchte.

Politik ist aber auch das ständige Infragestellen von Positionen. Deshalb kann ich auch nichts Schlimmes daran finden, wenn jemand das BGE in Frage stellt, Quotenregelungen für untauglich hält und das generische Femininum schwachsinnig findet. Ich kann auch nichts Schlimmes daran finden, wenn mir Menschen ankommen, die mir erklären, an der Schulmisere wären nur die Eltern schuld, weil die ihre Kinder nicht gut genug erziehen (und das steht nun meiner Meinung ziemlich exakt entgegen). Ich bin nicht sehr religiös veranlagt, was Politik anbelangt und finde, dass rein emotional vertretene Dogmen in Sachdiskussionen nichts zu suchen haben.

Nein, ich will diese Partei nicht zerstören, will keine Gräben ziehen und will vorhandene Gräben wahrhaftig nicht vertiefen. Aber ich will mich auch nicht zur Linksradikalen verbiegen lassen - das bin ich nämlich nicht. Und wenn in dieser Partei tatsächlich nur noch Linksradikale erwünscht wären (oder zumindest die Art des Umgangs miteinander und deren Denkweise), dann wäre ich in der Tat falsch. Den Eindruck habe ich derzeit aber nicht und deshalb bleibe ich und mache weiterhin, was ich machen möchte: Politische Positionen entwickeln in einer Umgebung, in der mich das möglichst wenig Nerven kostet - zumindest erhoffe ich mir das von der Gründung dieses Vereins.

Kommentare

neuer Kommentar

Nutzen Sie Markdown, um Ihren Kommentar zu formatieren.

Vorschau

abbrechen