Muss es immer ein Muttersprachler sein?

veröffentlicht von Esmeralda, 1 Kommentar
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Heute las ich in meinem Lokalblättchen folgende Stellenanzeige:

Sprachschule in [Ort] sucht Englischlehrer/in (Native Speaker/Akademiker/in) für den Unterricht mit Kindern und Jugendlichen für das Schuljahr 2012/13.[...]

Das Gerücht, dass Sprachlehrer unbedingt Muttersprachler sein müssten, um die Sprachkenntnisse entsprechend vermitteln zu können, hält sich seit Jahren hartnäckig. Und es ist so schlicht falsch. Ich fasse meine Gedanken zu diesem Thema im vorliegenden Artikel zusammen.

Es geht seit Jahren das Gerücht um, dass man eine Sprache besser lernen würde, wenn man von jemandem lernt, der diese Sprache als Muttersprache hat. Das ist in meinen Augen schlicht falsch - zumindest, wenn man das Prädikat "Muttersprache" als wichtigstes Merkmal des Lehrenden annimmt.

Kleinkinder erlernen ihre Muttersprache hauptsächlich durch Nachahmung. Das ist jetzt etwas kurz formuliert, für den vorliegenden Artikel reicht mir das aber aus. Was wichtig ist: Kleinkinder haben noch keinen Sinn für Grammatik, für sprachliche Regeln - sie entwickeln gleichzeitig mit dem Spracherwerb sozusagen einen unterbewußten Sinn für ihre Sprache. Sie lernen die Sprache also mehr oder weniger im Zuge ihrer vorschulischen Gesamtentwicklung ohne bewußtes Verstehen.

Wenn man von den Fällen absieht, in denen Kinder mehrsprachig aufwachsen und im Zuge der oben genannten Gesamtentwicklung mehrere Sprechkonzepte gleichzeitig aufnehmen, kann man davon ausgehen, dass jede weitere Sprache, die ein Mensch erlernt erst nach dem Erwerb der Muttersprache erlernt wird. In der Lernwelt, die uns derzeit umgibt, geschieht das dadurch, dass die Regeln der Fremdsprache bewußt erlernt werden. Für diesen Lernprozeß sind beim Lehrenden aber Voraussetzungen wichtig, die weit über muttersprachliche Kenntnisse hinausgehen. Der Lehrende muss in der Lage sein, dem Lernenden diese Regeln zu verdeutlichen, Ausnahmen zu erklären und Wege der Anwendung aufzuzeigen. Dazu muss der Lehrende gerade am Anfang des Zweitspracherwerbs nicht notwendigerweise Muttersprachler sein - es ist weitaus wichtiger, dass er in der Lage ist, seinem Schüler Wege zu ebnen, Lernverhalten zu analysieren, Lernhemmnisse und -hindernisse zu erkennen und dem Schüler den Umgang damit zu zeigen. Hier kann dem Muttersprachler tatsächlich die Tatsache im Weg sein, dass er eben nicht mit der Sprache seines Schülers aufgewachsen ist.

Solange es sich also nicht um sehr kleine Kinder handelt, die sich aktuell in der Spracherwerbsphase befinden, bin ich sehr überzeugt davon, dass ein Muttersprachler als Sprachlehrer sich sogar kontraproduktiv auf den Erwerb der Grundzüge einer Zweitsprache auswirken kann - vor allem dann, wenn er nach dem Kriterium "Hauptsache Muttersprachler" ausgewählt worden ist.

Der grundsätzliche Spracherwerb, der vor allen anderen Dingen das Verständnis für die sprachlichen Regeln vermitteln soll und die möglichst korrekte Anwendung derselben ist in meinen Augen bei einem Lehrer, der dieselbe Muttersprache spricht wie sein Schüler deutlich besser aufgehoben. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass der Lehrer sich selbst tatsächlich als Lehrer begreift und also seine vornehmliche Aufgabe darin sieht, den Schüler in seinen Bemühungen, die fremde Sprache zu erlernen, bestmöglich zu unterstützen. Und da sind wir genau an dem Punkt, der bei Lehrern allgemein so unendlich wichtig ist:

Lehrer sollen ihre Schüler vor allem das Lernen lehren!

Egal, welches Wissen ein Mensch sich anzueignen sucht: Er muss seinen Weg des Zugangs finden. Ein Lehrer ist idealerweise jemand, der seinen Schüler exakt dabei unterstützt; dazu muss er den Schüler kennenlernen, muss begreifen, wie der Schüler sich Wissen aneignet und sich danach richten. Hat der Lehrer diese Fähigkeit nicht, nützt die schönste Muttersprache nichts und auch keine akademische Ausbildung.

Der Moment, in dem ein Muttersprachler für den Schüler von Vorteil ist, kommt üblicherweise erst dann, wenn der Schüler zumindest die Mittelstufe der sprachlichen Ausbildung erreicht, die Grundzüge der Grammatik verstanden und anzuwenden gelernt hat. Dann ist der Muttersprachler von unschätzbarem Wert, weil er das schon als Kleinkind erworbene, nicht den Regeln unterworfene Gefühl für seine Sprache hat, das eben kaum nachträglich erlernbar ist. Hier wäre beispielsweise auch ein Aufenthalt in dem Land, dessen Sprache der Schüler erwerben möchte, sehr anzuraten - gern in Verbindung mit dem Besuch einer Schule, die das Weiterkommen im Spracherwerb unterstützt.

Ich lehne also den Einsatz von Muttersprachlern im Sprachunterricht nicht rundheraus ab, sondern plädiere lediglich dafür, sehr genau abzuwägen, in welchem Zusammenhang man mit welchem Lehrer arbeiten möchte. Muttersprachler können bei ihren Schülern wahre Wunder bewirken, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt da sind. Gleiches gilt für Lehrer, die eine Sprache unterrichten, die sie selbst als Fremdsprache erlernt haben. Allen gemeinsam sollte aber vordringlich das Gefühl für ihren Schüler und dessen Lernbedürfnisse sein - und das ist in meinen Augen das Wichtigste, was ein Lehrer haben muss. Wo er das erworben hat, ist vollkommen nachgeordnet.

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