Urheberrecht, Verlage, Verträge - und ein piratiger Shitstorm

veröffentlicht von Esmeralda, 6 Kommentare
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Es ist mal wieder soweit: Der Shitstorm tobt, diesmal wegen eines Buchs. Und eigentlich wäre das vermeidbar gewesen.

Die Geschichte, die ich hier erzähle, beginnt im Jahr 1995. Damals war ein gewisser Stefan Münz einigermaßen entnervt, weil es einfach keine übersichtliche und vollständige Dokumentation über HTML in deutscher Sprache gab. Als Mann der Tat hat er sich hingesetzt und eben diese Dokumentation geschrieben - und zwar in HTML. Diese Dokumentation, die Stefan Münz zunächst für sich selbst schrieb, hat er ins Netz gestellt ohne die Erwartung, jemals dafür etwas bezahlt zu bekommen. Er wollte eigentlich nur, dass seine Arbeit nicht nur ihm selbst, sondern eben auch anderen Menschen nützlich ist.

Das Werk hieß SELFHTML und ist heute noch im Web verfügbar. Ich verlinke aus nostalgischen Gründen auf die letzte statische Version - mittlerweile wird in einem Wiki gearbeitet, man geht ja mit der Zeit.

Als der Franzis Verlag darauf aufmerksam wurde, dass diese Referenz einen ausgesprochen guten Ruf hatte, bekam Stefan ein Angebot, seine Referenz auch als Buch zu veröffentlichen. Und so wurde ein Standardvertrag an die Wünsche des Autors angepaßt: Die Referenz wurde als Buch veröffentlicht und war parallel nach wie vor kostenfrei im Internet verfügbar. Sie wurde - ebenfalls kostenfrei - auf CDs veröffentlicht, die Zeitschriftenverlage ihren Erzeugnissen beilegten. Sie wurde und wird bis zum heutigen Tag in Kursen als Lehrmaterial verwendet und an die Kursteilnehmer weitergegeben. Kostenfrei.

SELFHTML ist also schon vor der Buchveröffentlichung vor rund 15 Jahren kostenfrei im Netz verfügbar gewesen, es ist auch nach der Buchveröffentlichung jedem kostenfrei zugänglich gewesen, es ist erlaubt und erwünscht, dass die Dokumentation unverändert und vollständig weitergegeben wird und es wird Wert darauf gelegt, dass möglichst viele Menschen davon profitieren können.

Insofern haben wir hier ein Beispiel, wie das mit der freien Weitergabe geht. Das macht Stefan übrigens heute noch so; das (mittlerweile eingestellte) Buch "Webseiten professionell" war ab der 2. Auflage in der jeweiligen Vorgängerauflage frei downloadbar, und sein aktuelles "HTML5 Handbuch" ist nichts anderes als die Papierversion von http://webkompetenz.wikidot.com/docs:html-handbuch.

Ich erzähle diese Geschichte hier noch einmal, weil jetzt ein Buch auf den Markt gekommen ist, von dem man eigentlich ähnliche Voraussetzungen erwarten sollte, wenn es auch aus einem völlig anderen Genre ist und bisher nicht im Internet verfügbar war. Es heißt "Klick mich" und ist von Julia Schramm, die inzwischen Beisitzerin im Bundesvorstand der Piratenpartei ist. Der Status als "digital native", den beide Autoren für sich beanspruchen dürfen, verbindet diese beiden Publikationen grundsätzlich.

Die Piratenpartei vertritt ein sehr liberales Urheberrecht. Sie möchte, dass private Kopien von Werken frei zugänglich sein sollen, damit jeder am Wissensschatz der Menschheit teilhaben kann. Das steht im Programm.

Gestern durfte die Piratenpartei auf recht schmerzhafte Weise lernen, dass es dieses liberale Urheberrecht eben noch nicht gibt, denn irgendjemand hat "Klick mich" bei Dropbox kostenfrei zum Download angeboten und der Verlag hat das prompt im Namen der Autorin unterbunden. Natürlich nach US-amerikanischem Recht, dafür aber, wie dort üblich nach dem "Gelbe-Karte"-Prinzip zunächst ohne Kosten für den, der das Recht verletzt hat, das die Autorin an den Verlag abgetreten hat.

Und es besteht auch kein Zweifel daran, dass weiterhin so vorgegangen wird, denn der Verlag ist ein Wirtschaftsunternehmen und wohl der Ansicht, dass sich dieses Buch nicht mehr verkaufen wird, wenn der Inhalt erst einmal kostenfrei zur Verfügung steht. An dieser Stelle rate ich dem Verlag, sich mal mit Franzis in Verbindung zu setzen und nach den dort gemachten Erfahrungen zu fragen, vielleicht setzt das mehr in Gang.

So geht jetzt der Shitstorm natürlich nicht auf den Verlag nieder, der ja verständlicherweise nur tut, was er immer getan hat, sondern auf Julia Schramm. Die einen sagen, sie sei von Geldgier verblendet, die anderen halten sie für ein Opfer des Systems. Letztlich läuft es vermutlich nur darauf hinaus, dass es ihr an Erfahrung und eventuell auch an Verhandlungsgeschick mangelt. Ihr das vorzuwerfen halte ich für müßig - das sind beides "Fehler", die mit zunehmendem Alter besser werden.

Was ihr aber meiner Ansicht nach vorzuwerfen ist: Als sie sich um das Amt im Bundesvorstand bewarb, war der Vertrag bereits unter Dach und Fach (siehe: FAZ vom 26.04.2012). Sie muss gewusst haben, was passiert, wenn das Buch herauskommt. Und an dieser Stelle hätte sie zwei Möglichkeiten gehabt: Entweder nicht antreten oder offen erklären, dass sie für diesen Vertrag Rechte abgegeben hat und dass das Buch sicher nicht kostenfrei zur Verfügung stehen wird. Beides hat sie auf dem Bundesparteitag nicht getan - zumindest nicht so, dass es beim Gros der Mitglieder ankam.

Denen, die sie gewählt haben und die sich jetzt so jammervoll enttäuscht zeigen, sei gesagt, dass sie es besser hätten wissen können. Dass Julia Schramm einen Vertrag mit einem Verlag aus der Bertelsmann-Gruppe geschlossen hatte, war nun wirklich vor dem Bundesparteitag in Neumünster bekannt. Dass Bertelsmann sehr auf Einhaltung des Urheberrechts achtet, ist ebenfalls allgemein bekannt. Wer Julia unter diesen Umständen gewählt hat, muss gewusst haben, was kommt, sobald das Buch auf dem Markt ist. Alles andere wäre Traumtänzerei gewesen.

Julia jetzt zum Vorwurf zu machen, dass genau das passiert, wovon anzunehmen war, dass es passieren würde, ist grandiose Heuchelei. Sie zum Opfer des Systems hochzustilisieren ist einfach nur dumm. Alle Beteiligten haben sehr genau gewusst, worauf sie sich einlassen. Ich schlage vor, dass jeder für sich jetzt in sich geht und überlegt, welche Konsequenzen aus dem vorhersehbaren Ergebnis dieser Buchveröffentlichung zu ziehen sind.

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