Über die Piratenpartei

veröffentlicht von Esmeralda, 13 Kommentare
eingeordnet unter
Die Motivationslosigkeit macht sich breit unter den Piraten, denn es ist schwierig: Von allen Seiten werden Forderungen an uns herangetragen, nach mehr Programm, mehr Professionalität, mehr... Mainstream? Ich breche heute mal eine Lanze für die Piraten.

Die Piratenpartei ist meine politische Heimat. Das dürfte inzwischen weithin bekannt sein und ist somit eine Binsenwahrheit. Im letzten halben Jahr habe ich mich aber immer weniger wohl gefühlt in dieser Heimat und ich bin nicht allein damit. Also werfe ich heute einen Blick auf die Partei und auf die Entwicklung, die sie genommen hat, seit ich im August 2009 eingetreten bin.

Wir sind Dilettanten, und das im besten Sinne des Wortes. Die Partei setzt sich zusammen aus Menschen, die das Gefühl eint, das es so nicht weitergehen kann, dass es einen besseren, einen vernünftigeren politischen Weg geben muss als den, den unsere Berufspolitiker derzeit gehen. Die Erkenntnis, dass auch Politiker nur mit Wasser kochen und so manches Mal unreflektiert weiterplappern, was ihnen von sogenannten Fachleuten vorgegeben wird, traf mich 2009, als Frau von der Leyen die Pressekonferenz gab, in der sie die gesamte Netzgemeinde in wahrhaft beleidigender Weise zu diskreditieren suchte. Ich halte ihr zugute, dass sie einfach keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Und weil ich schon damals nichts anderes annehmen konnte, als dass sie keine Ahnung hat, habe ich - wütend wie ich damals war - beschlossen, dass ich das mit der Politik jetzt einfach mache. Damit war ich nicht allein.

Die Pläne, die gesamte Bevölkerung vermittels Kameraüberwachung, Trojanern, Vorratsdatenspeicherung "im Griff" zu halten, waren und sind für mich jenseits jeglicher Diskussion. So viel Ahnung von der Technik habe ich schon, dass ich beurteilen kann, wie fehleranfällig automatisierte Überwachung ist und wie gefährlich das falsche Gefühl von Sicherheit ist, das da vermittelt werden soll. Es hat sich an den Plänen nichts geändert - nur an der "Verkaufstaktik". Nach wie vor soll die Bevölkerung insgesamt überwacht werden, nach wie vor wird die Unschuldsvermutung aufgeweicht, nach wie vor ist geplant, jeden einzelnen Einwohner dieses Landes unter dem Vorwand der Vermeidung von Verbrechen bis in sein höchst privates Umfeld hinein zu kontrollieren. 1984 läßt grüßen. Nein, danke, das möchte ich nicht.

Und das möchten alle anderen Piraten auch nicht. Sie arbeiten daran, die Bevölkerung über diese Überwachungsmechanismen aufzuklären, sie nehmen jeglichen Versuch, diesen Generalverdacht zu etablieren sehr ernst und sie nehmen alle Projekte auseinander, die gegen die Bevölkerung gerichtet sind - Vorratsdatenspeicherung, ACTA, INDECT, O'zapft is. Der neueste Versuch auf Bundesebene ist das Gesetz zur "Bestandsdatenauskunft", gegen das wir genauso anrennen werden wie gegen alle Versuche vorher und nachher.

Neben der Untersuchung all dieser gegen die Bevölkerung allgemein gerichteten Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaft, der Bundes- und der Landesregierungen haben wir es in der Tat geschafft, heimlich, still und leise (naja, ziemlich) Programme auf die Beine zu stellen, die nicht nur die Wehrhaftigkeit der Piraten unter Beweis stellen sondern auch politische Vielfalt innerhalb der Partei sichtbar machen. Und das haben wir innerhalb von sechs Jahren geschafft.

Die Piratenpartei rekrutiert sich ganz überwiegend aus Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Auf Bundesebene haben wir ganze zwei bezahlte Kräfte: Eine 450-Euro-Kraft in der Bundesgeschäftsstelle und unsere Bundespressesprecherin, die halbtags arbeitet. Alle Vorstände müssen neben der organisatorischen Arbeit für die Partei noch ihren Lebensunterhalt verdienen. Alle Parteimitglieder, die an den Entwürfen für die Programme mitgearbeitet haben, haben das in ihrer Freizeit getan, aus Leidenschaft für Menschen, aus Wut über die politischen Zustände, aus Freude an der Zusammenarbeit bei der Suche nach neuen politischen Wegen.

Und das soll uns eine der "etablierten" Parteien erst einmal nachmachen, Herrschaften! Ich möchte gerne mal Leute wie eine Frau von der Leyen oder einen Herrn Seehofer, einen Herrn Steinbrück oder einen Herrn Gysi, eine Frau Künast oder eine Frau Wagenknecht sehen, die auf

  • einen nicht unerheblichen Teil ihres Gehalts
  • ureigene Interessen wie Zusammensein mit der Familie
  • praktisch ihre gesamte Freizeit
  • Komfort
  • (diese Liste ist beliebig verlängerbar)

verzichten, weil sie von der Sache überzeugt sind, für die sie sich einsetzen. Weil sie trotz des Mangels an Anerkennung und trotz der Fülle an Kritik arbeiten wie die Heinzelmännchen.

Dafür bedanke ich mich bei allen, die an politischen Positionen, an Strukturen, an Organisation, an Außendarstellung, an innerem Parteifrieden - kurzum: am Aufbau dieser Partei arbeiten. Danke, Leute, ihr seid großartig. Alle.

Und deshalb bin ich bei allen Streitereien, bei allen Defiziten, bei dem Mangel an Dank und der Fülle an Shitstorms, bei allem explosionsartigen Aufeinanderprallen von Meinungen einfach stolz auf die Piraten. Wir haben ungeheuer viel geschafft. Wir können dabei helfen, diese Gesellschaft so umzubauen, dass jeder Mensch sich in ihr wohl fühlen kann. Und genau das werden wir auch weiterhin tun, denn das ist es, was uns treibt und das ist es, wofür wir hier sind, so unterschiedlich wir auch sind.

Manchmal bin ich furchtbar müde. Manchmal möchte ich einfach austreten und mit dem ganzen Mist nichts mehr zu tun haben. Manchmal wird mir einfach alles zuviel und ich habe das Gefühl, ich kann keinen einzigen Schritt mehr machen. Aber es gibt keine andere Partei, in der ich sein möchte, ehrlich.

Kommentare

neuer Kommentar

Nutzen Sie Markdown, um Ihren Kommentar zu formatieren.

Vorschau

abbrechen