Equal Pay Day
veröffentlicht von Esmeralda, geändert am , 4 Kommentare
Equal Pay Day ist das rote Tuch für viele Männer, die arbeiten gehen müssen, obwohl sie eine Familie zuhause haben (oder sich vorstellen können, in Zukunft eine zu haben). Die Argumentation, die an diesen Tagen kommt, ist eigentlich immer dieselbe:
- Männer arbeiten durch, während Frauen üblicherweise die Erziehungszeiten in Anspruch nehmen
- Frauen haben deswegen generell weniger Berufserfahrung
- Deswegen leisten sie auch weniger
- Frauen arbeiten öfter in Teilzeit, dafür erhalten sie natürlich weniger Entgelt
- Frauen haben also mehr Freizeit und leisten insgesamt weniger
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber das ist das, was mir vorwiegend vor die Nase tanzt. Ich finde den Denkansatz grundfalsch, wenn auch nachvollziehbar.
Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, der ein Rollenbild zugrunde liegt, das mit den Realitäten nichts zu tun hat. Es sieht von meinem Standpunkt aus gesehen folgendermaßen aus:
- Die Gesellschaft schützt Ehe und Familie (siehe Grundgesetz)
- Ehe ist ein Lebensentwurf, der Bestand hat
- Männer sind vorwiegend die Haupternährer einer Familie, Frauen verdienen maximal dazu
- Frauen kümmern sich um die Kinder und den Haushalt, solange es notwendig ist
- Deswegen bekommen die Männer Steuererleichterungen (das mit dem Ehegattensplitting)
- Deswegen haben die Frauen einen Anspruch auf Versorgung durch die Ehemänner
- Damit werden sozusagen die Frauen von ihren Ehemännern für ihre Leistung entlohnt (in Naturalien, was dann nicht auffällt)
Dieses Gesellschaftskonzept hatte nach dem 2. Weltkrieg seine Berechtigung, heute ist es einfach eine Illusion. Es fängt mit dem Konzept der Ehe und der "ewigen Haltbarkeit" derselben an. Heutzutage ist es für niemanden mehr eine Schande, geschieden zu sein; dieses Stigma hat unsere Gesellschaft gottseidank überwunden. Es ist nicht mehr erheblich, wer nun die Schuld am Zerbrechen der Lebensgemeinschaft trägt und es werden vernünftige Versorgungsausgleiche geschaffen.
Trotzdem bedeutet eine Scheidung immer noch einen sozialen Abstieg. Das haben wir einerseits dem Gesetzgeber zu verdanken, der dafür sorgt, dass geschiedene Paare aufs Ganze gesehen mehr Steuern zahlen, andererseits ist es natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass zwei kleine Wohnungen mehr kosten als eine große Wohnung, dass eventuell statt eines Autos zwei da sein müssen und dergleichen. Das macht das Leben für geschiedene (und auch für unverheiratete) Paare deutlich teurer. Allein das betrachte ich als massive Ungerechtigkeit - das Steuerrecht muss hier endlich den Realitäten angepasst werden. Darüber, dass meistens die Frauen diejenigen sind, bei denen die Kinder bleiben und die dann berufliche Nachteile erleiden, weil die Kinder bei ihnen leben, lasse ich mich jetzt nicht ausführlich aus - das setze ich als bekannt voraus.
Außerdem führt dieses Konzept zu gesamtgesellschaftlichen Denkfehlern; Frauen, die Kinder haben und eben nicht oder nur in Teilzeit einer Erwerbsarbeit nachgehen, haben nicht mehr Freizeit. Im Gegenteil: Sie sind üblicherweise 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche "im Dienst". Und das sowohl zuhause als auch im Urlaub. Gesellschaftlich wird die Zeit, in der sie zwar durchaus arbeiten, aber nicht dafür bezahlt werden (obwohl sie hier einen wirklich gewaltigen Dienst an der Gesellschaft leisten), als "Freizeit" angesehen. Sie sind sozusagen Hobbymütter, Hobbyhaushälterinnen, Hobbyköchinnen, Hobbyverwalterinnen und so weiter und so fort.
Diese "Hobbyarbeiten" bewegen sich beim ganz überwiegenden Teil der Frauen, die sie erledigen, sehr weit von ihren Ausbildungsberufen entfernt. Damit machen sie zwar durchaus neue Erfahrungen, ihr Blick wird auch erweitert - aber für den Beruf nützt ihnen das herzlich wenig. Sie verlieren an Berufserfahrung, sie sind von Weiterbildung praktisch abgeschnitten und wenn sie tatsächlich über einen längeren Zeitraum "zuhause geblieben" sind, benötigen sie Wiedereingliederungsmaßnahmen. Selbstverständlich (vom ökonomischen Standpunkt aus) wird das zu einem "Karriereknick" führen - oder eben zu keiner Karriere. Gerade gebildete Frauen mit einer wirklich guten Ausbildung überlegen deshalb mehrfach, ob sie wirklich Kinder haben möchten - darin liegt übrigens der Misserfolg der "Herdprämie".
Entscheidet sich eine Frau, das mit den Kindern sein zu lassen und sich lieber beruflich zu entwickeln, sieht sie sich zwei Problemen gegenüber: Einerseits wird ihr in der Erwerbsarbeitswelt mit großer Vorsicht und großem Mißtrauen begegnet werden, solange sie in einem Alter ist, in dem sie Kinder bekommen kann. Das hat viel mit Gesetzen zu tun und damit, dass niemand seinem Arbeitgeber Rechenschaft schuldig ist über die persönliche Lebensplanung. Andererseits wird sie gesellschaftlich viele Diskussionen führen müssen, denn es sind immer noch sehr viele Menschen der Ansicht verhaftet, dass eine Frau Kinder bekommen müsse, weil sie Kinder bekommen kann.
Sehr viele Frauen stehen also vor einer Wahl, vor die Männer sich nicht wirklich gestellt sehen: Sie müssen sich zwischen einem erfüllten Berufsleben und dem Wunsch nach Familie mit Kindern entscheiden. Es sind sicher nicht alle Frauen - aber doch ausreichend viele, dass da eine kritische Masse überschritten ist.
Statt also nun vermittels aller dieser Argumente (die für sich genommen sicherlich verständlich und valide sind) Männer und Frauen gegeneinander zu stellen, fehlt es an Überlegungen, wie wir das Familienleben und das Erwerbsleben für alle Menschen gut unter einen Hut bringen.
Wie erhalten wir denjenigen, die durchgehend Erwerbsarbeit leisten (das sind - noch - meistens die Männer) die durchaus verdiente Anerkennung für ihren Beitrag zum ökonomischen Erfolg dieser Gesellschaft und sorgen gleichzeitig dafür, dass diejenigen, die die Betreuungsarbeit leisten (das sind - noch - meistens die Frauen), endlich die verdiente Ankerkennung dafür bekommen?
Wie können wir als Gesellschaft alleinerziehende Frauen unterstützen, die einer (ihrer Ausbildung entsprechenden) Erwerbsarbeit nachgehen möchten, das aber nicht oder nur teilweise können, weil sie sich eben um ihre Kinder kümmern wollen?
Wie können wir als Gesellschaft den "Erwerbsdruck" von den Männern nehmen und so dafür sorgen, dass sie ihre Familien nicht nur "versorgen", sondern auch am Familienleben teilnehmen können, ohne dabei berufliche Nachteile fürchten zu müssen?
Wie sollten wir unsere Gesellschaft umgestalten, um den Anforderungen gerecht zu werden? Wer ist hier in der Pflicht? Wie viel dürfen und müssen wir von der Politik erwarten, wie viel von der Wirtschaft?
Das alles sind Fragen, die mich umtreiben. Sicher, es gibt Ansätze. Wir von der Piratenpartei vertreten die Ansicht, dass ein Grundeinkommen für alle hier durchaus einen Lösungsansatz bieten kann. Daneben gibt es auf wirtschaftlicher Seite auch sehr interessante Modelle, wie zum Beispiel den Ansatz von Ricardo Semler, einem brasilianischen Unternehmer, der sein Unternehmen radikal umgestaltet hat.
Letzlich finde ich, wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu beweisen, dass der Gender Pay Gap nicht oder doch existiert und damit anfangen, unsere Gesellschaft endlich neu zu denken.
Kommentare
Astrid Semm
schrieb am
Auf Telepolis gibt es zum selben Thema einen sehr lesenswerten Artikel, der (leider erst auf Seite 3) in ein ähnliches Horn tutet wie ich.
Single
schrieb am
Ich als Single fühle mich auch benachteiligt mit Steuerklasse 1
Das muss endlich aufhören.
Astrid Semm
schrieb am
Das denke ich nicht; ich bin nur der Ansicht, dass Leute, die Kinder großziehen durchaus neben dem Kindergeld noch eine Steuererleichterung haben dürften - unabhängig vom Familienstand. Und ich finde auch, dass diese Steuererleichterungen - ebenso wie das Kindergeld und ebenso unabhängig vom Familienstand - dann zurückgenommen werden sollten, wenn die Kinder durch die Ausbildung und aus dem Haus sind.
Astrid Semm
schrieb am
Nachdem dieser Artikel auch auf der Website der Piratenpartei publiziert wurde und dort Leute ankommen und meinen, ich wäre wohl der Ansicht, diese 21%-Geschichte wäre wahr, paste ich hier mal vorbeugend den Kommentar hinein, den ich dort abgegeben habe. Vielleicht hilft das ja, um zu verstehen, dass der Gender Pay Gap nicht der Grund für diesen Artikel war, sondern der Anlass. Hier der Kommentar:
Seit 10 Jahren werden die falschen Fragen gestellt, falsche Ansätze gefördert und letztlich Frauen gegen Männer ausgespielt. Das, was ich hier wollte, war: Die Argumentationslinien aus meiner Sicht zusammenfassen, so, wie sie von diesen „fake news“ erzeugt werden, dann versuchen, die Situation zu skizzieren, die aus Sicht einer Frau tatsächlich da ist (und das muss bei dem Umfang, den ein Blogartikel üblicherweise hat, unvollständig bleiben), und dann die Fragen zu stellen, die sich daraus ergeben.
Der Intro ist so geschrieben, weil es mir auf die Nerven geht, dass jedes verfluchte Jahr wieder genau darauf lang, breit und ausführlich eingegangen wird, dass die 21% vollkommen unrealistisch sind, wenn man nicht vom absoluten Einkommen ausgeht, sondern vom relativen. Warum muss das unbedingt jedes Jahr wieder sein? Warum können wir uns nicht einfach mal ansehen, wie der tatsächliche Stand ist, ob und wo es Probleme gibt und uns damit beschäftigen, diese Probleme zu lösen? Warum muss jedes Jahr wieder ein Problem auseinanderklamüsert werden, das eigentlich nicht existiert, weil es einfach eine faustdicke Lüge ist, wenn wir das sowieso schon wissen?
Und jetzt würde ich mich gerne mal darüber auseinandersetzen, wie
– man den Leuten, die Kinder haben, das Leben leichter machen kann, vor allem wenn alleinerziehend – man dafür sorgen kann, dass jeder (also jeder Mann und jede Frau) seinen Lebensentwurf tatsächlich verwirklichen kann – man dafür sorgen kann, dass Kinder auch mal Geschenke bekommen können, ohne dass dem alleinerziehenden Elternteil was vom Geld abgezogen wird – man dafür sorgen kann, dass auch unbezahlte Arbeit Anerkennung findet – man dafür sorgen kann, dass wir wieder eine Gesellschaft werden, in der man sich umeinander kümmert.
Zum Kuckuck, das muss doch möglich sein!
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