Kooperation sozialliberaler Kräfte

veröffentlicht von Esmeralda, geändert am , 4 Kommentare
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Der Bundesvorstand der Piratenpartei hat gemailt, dass es Gespräche mit anderen Parteien gibt, weil man gerne kooperieren möchte. Nun ist die Aufregung groß. Ich versuche, den Vorgang für mich zu bewerten - vielleicht hilft das ja auch anderen Leuten bei der Einordnung.

Die Mail, die gestern abend meine Mailbox erreichte, enthielt die Botschaft, dass

  • am 21. März um 10:30 Uhr eine Pressekonferenz zusammen mit den jeweils Vorsitzenden mehrerer sozialliberaler und humanistischer Organisationen stattfinden werde
  • in den vergangenen Wochen und Monaten Gespräche mit verschiedenen Leuten in unterschiedlichen Konstellationen stattgefunden haben
  • ein Prozess der Kooperation und Zusammenarbeit angestoßen werden soll
  • die Mitglieder nach der Pressekonferenz vollumfänglich informiert werden und darüber entscheiden und den Prozess gestalten sollen

Außerdem enthält das Schreiben noch eine recht ausführliche Begründung, die ich hier nicht zusammenfasse.

Wie bewerte ich das jetzt für mich?

Die Sache an sich

Wir leben derzeit in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, die Schwachen zurückzulassen, die Bedürftigen allein zu lassen und die Übersatten noch weiter zu füttern. Politische Strömungen, die man mindestens autoritär nennen muss, sind auf dem Vormarsch. Viele Menschen fürchten, dass wir entweder in einer Diktatur leben oder von den großen, weltweit operierenden Wirtschaftsunternehmen regiert werden - eventuell sogar beides. Menschen, die tatsächlich sozial und freiheitlich denken, sind in vielen, relativ kleinen Parteien und Organisationen vereint. Das nimmt ihnen die Möglichkeit, wahrgenommen zu werden. Eine Zusammenarbeit im größeren oder sogar großen Rahmen wäre durchaus wünschenswert, um den Organisationen, die sich einerseits für die Schwachen einsetzen, andererseits für die Freiheit des Einzelnen da sein möchten, eine hörbare Stimme zu verleihen.

Insofern ist die Überlegung, eine Zusammenarbeit anzustoßen nicht nur eine gute Idee, nein, eine Zusammenarbeit wäre sogar sehr wünschenswert, um tatsächlich wieder menschliche Werte über wirtschaftlichen Erfolg stellen zu können.

Ich bin sehr für eine Zusammenarbeit zwischen Parteien und Organisationen, die sich für die oben genannten Ziele und Werte einsetzen. Es ist wichtig, dass wir uns endlich Gehör verschaffen, dass endlich nicht nur Vernunft, sondern auch Herzenswärme in der Politik Einzug halten. Die Brutalität, die aus Gesetzeswerken wie dem, das Hartz IV zugrunde liegt, spricht, ist unmenschlich. Es müssen dringend wieder Wege gefunden werden, aus einer riesigen Ansammlung von Menschen, die sich durchs Leben kämpfen, eine Gesellschaft zu machen. Wenn eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, dieses Ziel erreichen kann, wenn da eine Chance besteht, dann bin ich sehr dafür und auch bereit, an der Ausgestaltung mitzuarbeiten.

Kommuikation

Gespräche sind zunächst immer etwas Gutes; wer miteinander spricht, lernt sich kennen und kann bewerten, inwieweit Zusammenarbeit möglich sein könnte. Dass jetzt nicht der Vorstand hingehen kann und sagen "Hey, redet mal mit den Leuten von dieser und jener Organisation/Partei, um herauszufinden, ob ihr mit denen zusammenarbeiten könnt", ist auch grundsätzlich klar.

Ich finde es also gut, wenn der Bundesvorstand meiner Partei mit anderen Organisationen und/oder Parteien spricht, um herauszufinden, ob eine Zusammenarbeit möglich sein könnte. Es ist auch absolut in Ordnung, wenn der Bundesvorstand das zunächst tut, ohne die Mitglieder um Erlaubnis zu fragen - es könnte ja sein, dass sich im Gespräch herausstellt, dass das eine schlechte Idee war. Also: Erst herausfinden, ob das überhaupt eine Möglichkeit ist, dann die Mitglieder fragen, was sie davon halten. Wir haben uns in der Vergangenheit ja wirklich gar zu oft mit nutzlosen Diskussionen über völlig unausgegorene Ideen aufgehalten, das muss nicht sein.

Punkt 1: Gespräche zunächst in einem kleinen Kreis führen, um herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen ist von meinem Standpunkt aus absolut in Ordnung.

Spätestens, wenn die Idee konkrete Formen annimmt, sollte dann aber doch im größeren Kreis darüber gesprochen und Vor- und Nachteile bewertet werden. Das ist bei den Piraten grundsätzlich geschehen, weil das Thema in der 1V-Runde besprochen wurde.

Punkt 2: Information intern weitergeben und sich im erweiterten Kreis beraten ist durchaus angebracht. Inwieweit dann schon allgemein informiert werden sollte, muss sich an dieser Stelle ergeben. Hier fällt mir eine Einschätzung schwer, denn ich weiß nicht genau, was im Einzelnen besprochen wurde. Da muss ich mich also auf mein Gefühl verlassen und das sagt "grenzwertig, aber noch in Ordnung".

Die Pressekonferenz ist für den 21. März geplant, die Mail an die Mitglieder ging am 16. März auf den Weg. Das ist, wenn man das Ereignis als Neuigkeit auf den Weg bringen möchte, eigentlich zu früh. Nachdem aber schon seit der Vorwoche Leaks aus den Reihen der Neuen Liberalen auf Twitter zu sehen waren, war das schon fast zu spät, um die Mitglieder der Piraten auf diesem Weg mitzunehmen. Inklusion ist eben leider nicht nur barrierefreies Webdesign, sondern auch eine Informationspolitik, die die Mitglieder rechtzeitig und in ausreichendem Umfang ins Bild setzt.

Punkt 3: Die interne Kommunikation war deutlich optimierungsfähig. Es wurde zu lange gezögert, bevor die Mitglieder informiert wurden. Ich kann das Vorgehen verstehen, denn es sollte ja auch ein gewisser medialer Effekt erzielt werden. Andererseits wird so eine Vorgehensweise gerade in der Piratenpartei als intransparent empfunden, deswegen muss man damit rechnen, mehr als nur Gegenwind zu ernten.

In der Mail, die die Mitglieder der Piratenpartei erhalten haben, steht nichts Konkretes. Es ist die Rede von "den jeweiligen Vorsitzenden mehrerer sozialliberaler und humanistischer Organisationen", mit denen zusammen eine Pressekonferenz gegeben werden soll. Auch hier sehe ich, dass die Organisationen deshalb nicht genannt werden, weil ja noch eine Neuigkeit für die Journalisten da sein soll, wenn sie zur Pressekonferenz kommen. Intern ist das grundsätzlich sehr schwer zu vermitteln, denn der Vorwurf der Intransparenz (die hier aus gutem Grund stattfindet) wird erhoben werden. Das ist ein Dilemma, aus dem ich den Ausweg nicht sehen kann, es sei denn, man wollte auf den Nachrichtenwert der Pressekonferenz verzichten; die kann man sich dann aber eigentlich auch sparen.

Punkt 4: Es musste eine Entscheidung getroffen werden: Nachrichtenwert erhalten oder Mitglieder vollumfänglich informieren. Die Entscheidung fiel zugunsten des Nachrichtenwertes. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist in meinen Augen eine Frage des Standpunkts; ich kann die Argumente für beides gut verstehen und befinde mich deshalb an dieser Stelle in einem Zwiespalt.

Der Prozess für eine Zusammenarbeit ist längst angestoßen - der hat mit den ersten Gesprächen begonnen. Die Pressekonferenz ist anberaumt und sie wird stattfinden. Das vermittelt Piraten ein Gefühl der Machtlosigkeit. Nichtsdestoweniger: Zusammenarbeit halte ich grundsätzlich für eine gute Idee. Worauf es jetzt ankommt, ist die Gestaltung und die sollten wir uns nicht aus der Hand nehmen lassen.

Punkt 5: Unser Bundesvorstand hat eine Zusammenarbeit sozialliberaler Menschen angestoßen, ohne uns zu fragen, ja. Deswegen sollten wir aber trotzdem so vernünftig sein, uns die Sache anzusehen und ordentlich auszugestalten. Ablehnung aus einem Gefühl der Machtlosigkeit, des Zurückgelassenseins oder schlicht des Beleidigtseins ist etwas, was wir hinter uns gelassen haben sollten.

Lasst uns aus dem, was wir vorfinden, etwas wirklich Gutes machen. Immer daran denken: Wir sind Piraten!

Kommentare

Samy

schrieb am

Was du zu dem gesamten Vorgang sagst, trifft es genau. Mein Grummeln hab ich aus gutem Grund öffentlich gelassen: Ich sehe die Chance, nach einer persönlichen Bewertung und nach Diskussionen mein OK zu geben oder auch nicht. Lass uns erwas Gutes draus machen :)

ED Färber

schrieb am

Ist doch toll, wenn man zur "Vernunft" genötigt wird.

Astrid Semm

schrieb am

Ich sammle mal im Kommentarbereich, was ich sonst noch so an Wortmeldungen zu diesem Thema finde:

Michael Ebner: http://computerdemokratie.de/2017/03/17/politik-und-kommunikation/

Kristos Thingilouthis: http://kristos.de/sozialliberal-wir-muessen-unsere-kraefte-buendeln/

Bernd Schreiner: http://pastebin.com/Qc5P5JJg

René Pönitz: http://renephoenix.de/buendelung-sozialliberaler-und-humanistischer-kraefte-in-deutschland

Bernd

schrieb am

Vielen Dank für deine gute Zusammenfassung, du sprichst mir aus der Seele.

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