Das böse D-Wort

veröffentlicht von Esmeralda, geändert am , 5 Kommentare
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Jetzt ist es passiert: Zum kommenden Bundesparteitag hat Michael Ebner einen Satzungsänderungsantrag eingereicht, in dem das böse Wort steht: Delegierte! Die Wellen schlagen schon jetzt hoch, denn Piraten sind freie Menschen, die nicht delegieren wollen. Meine Meinung zum Antrag und zu den Reaktionen.

Der Satzungsänderungsantrag SÄA003 schlägt vor, einen "kleinen Bundesparteitag" einzuführen, auf dem 42 Delegierte zusammenkommen sollen. Antragsteller ist Michael Ebner, unterstützt wird der Antrag von Uwe Krüger, Stefan Körner, Patrick Schiffer und Kristos Thingilouthis. Der Himmel fällt uns auf den Kopf! Verrat!

So zumindest schallt es durch meine Twitter-Timeline und bestürzenderweise von Menschen, die ich eigentlich für vernunftbegabt gehalten hätte. Ja, ich finde es unvernünftig, mit Beissreflexen auf so einen Antrag zu reagieren. Um ganz ehrlich zu sein: Ich finde das sogar kindisch.

Seit Jahren kommt in der Piratenpartei immer wieder mal die Rede auf Delegiertenparteitage. Es gibt reichlich Menschen, die es für sinnvoll halten, wenn es einige wenige Leute bestimmt werden, die sich mit den Anträgen an den Bundesparteitag beschäftigen müssen und dann auf dem Parteitag über diese Anträge abstimmen. Denn, das muss man schon anmerken, die Vorbereitung der Piraten, die auf Parteitagen über Anträge abstimmen, ist meistens beklagenswert schlecht. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle verlassen sich die Teilnehmer darauf, dass Anträge sorgfältig vorgestellt werden und dass dann in der Diskussion für sie ein Bild entsteht, aufgrund dessen sie abstimmen können. Das lief eigentlich immer so und auf diese Weise ist schon einiges ins Programm oder in Positionspapiere gerutscht, was dort eigentlich sehr fehl am Platze war.

Insofern ist der Ruf nach einer vernünftigen Arbeitsstruktur und der Übertragung von Verantwortung auf solche Piraten, die sich die Zeit für die Vorbereitung nehmen müssen, in meinen Augen sehr verständlich. Deshalb finde ich, dass wir uns mit der Thematik tatsächlich einmal auseinandersetzen sollten und zu diesem Zweck ist so ein Antrag eine ausgesprochen gute Grundlage.

Piraten, die jetzt die Antragsteller Verräter nennen, möchte ich gern fragen, wie sie denn dafür sorgen möchten, dass mehr Sorgfalt in unsere Arbeit - auch die Beschlussarbeit - kommt. Wir warten seit 2011 auf den BEO, der damals bereits "fast fertig" war und dessen Fertigstellung sich aufgrund technischer und datenschutzrechtlicher Probleme immer wieder verzögert. Die Schweizer Piraten arbeiten daran, eine Variante für sich fertigzustellen; die ist teilweise wohl auch schon in Gebrauch. Allerdings müssen wir auch dafür sorgen, dass entsprechende technische Einrichtungen eben den Anforderungen genügen - und bisher gibt es noch kein Tool, das einen Ersatz für einen Bundesparteitag hergibt.

Abgesehen davon sehe ich auch nicht, dass Menschen, die sich mit einer Flut von Anträgen an einen Bundesparteitag nicht beschäftigen, mit einem Online-Tool sorgfältiger vorgehen würden. Also wären wir auch damit auf lange Sicht darauf angewiesen, dass sich Piraten finden, die sich sorgfältig mit den Anträgen auseinandersetzen und sie dann entsprechend abstimmen können - da sind wir bei Online-Delegierten. Da waren sie also wieder, unsere Probleme.

Ich hätte also, wäre ich gefragt worden, den Antrag sicher auch unterstützt, auch wenn ich ihn für handwerklich nicht besonders gelungen halte und sicher nicht dafür stimmen werde. Der Grund ist, dass ich denke, dass es nicht die Delegierten sind, die uns das Heil bringen werden. Unsere Rettung liegt ganz woanders.

Was uns fehlt, ist Sorgfalt und vernünftige Vorarbeit. Wenn wir also auf lange Sicht ein Delegiertensystem vermeiden wollen, werden wir auch da wieder zu unseren Wurzeln zurückkehren müssen. Und diese Wurzeln sind Arbeitstreffen, sind Arbeitsgemeinschaften, sind Menschen, die sich zusammensetzen, die prüfen, die Schwachstellen finden und beseitigen und dafür sorgen, dass Anträge an den Bundesparteitag auch wirklich gut und sorgfältig ausgearbeitet sind.

Das ist natürlich eine harte Anforderung an die Piraten an sich. Es bedeutet, kontinuierlich im Team zu arbeiten, die Arbeitsergebnisse in regelmäßigen Abständen zur Diskussion zu stellen, die Diskussionsergebnisse einzuarbeiten, die Ergebnisse wieder zu prüfen und so fort, bis die Ergebnisse stimmig sind. Das ist politische Arbeit. Diskussion, Erarbeitung von Ergebnissen, wieder Diskussion. Da muss man ungleich mehr dranbleiben, als wenn man einfach jedes Wochenende auf eine Demo geht, die Parteifahne schwenkt und sich danach im Bewußtsein, für die gerechte Sache gekämpft zu haben, aufs Sofa schwingt und eine Runde zockt. (Ja, das war jetzt stark überzeichnet. Man verzeihe mir, ich möchte Dinge sichtbar machen.)

Wenn ihr also kein Delegiertensystem wollt (und ich will ehrlich auch keins), dann bedeutet das eine ganz andere Art von Engagement. Dann bedeutet das, dass man da ist, dass man dran bleibt, dass man kontinuierlich weiterarbeitet und es bedeutet, dass man aus seiner Gruppe heraus kommuniziert, was man macht. Von den wenigen AGs, die die Piratenpartei überhaupt noch aktiv nennen kann, hört man so gut wie nichts. Sie arbeiten in ihren stillen Kämmerlein vor sich hin, kommen irgendwann mit Anträgen um die Ecke und wundern sich, warum die abgelehnt werden (andere wundern sich, wie es passieren kann, dass bestimmte Anträge angenommen werden).

Nehmt euch also bitte vor, euch auch ohne BEO, auch ohne Diskussionstool und ohne Dicken Engel ständig mit der Arbeit in der Piratenpartei auseinanderzusetzen. Fangt an, euch dafür zu interessieren, wo die Anträge erarbeitet werden. Wenn ihr Anträge erarbeitet: Redet darüber, spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem ein soweit vorzeigbares Ergebnis da ist. Jeden zweiten Mittwoch ist BuVo-Sprechstunde. Da kann man sich auch mal melden und sagen, man hätte da was zu diskutieren.

Einfach so "Verrat" zu brüllen und sich noch nicht einmal im Ansatz Gedanken zu machen, wie unsere Zusammenarbeit in der Partei verbessert werden kann, ist jedenfalls wirklich kindisch und eines Piraten eigentlich auch nicht würdig. Lasst uns diesen Antrag zum Anlass nehmen, unsere Strukturen zu überdenken, unsere Zusammenarbeit wieder zu beginnen und ein Team zu werden. Dann brauchen wir auch keine Delegierten mehr.

Kommentare

Pirat

schrieb am

"Von den wenigen AGs, die die Piratenpartei überhaupt noch aktiv nennen kann, hört man so gut wie nichts."

Also in den Protokollen steht oft tun Dinge

Michael Ebner

schrieb am

Ergänzend, da es im Beitrag nicht so deutlich rüber kommt: SÄA003 schafft die Mitgliederparteitage nicht ab, sie sollen allerdings durch das zu schaffende Organ vor- und nachbereitet werden.

Hartmut "hase" Semken

schrieb am

Danke dafür!

Immer wenn Piraten beissreflexig Verrat schreien und twittern springt mich der Verdacht an, dass die keine Sachargumente haben, aus denen sie sich eine Mehrheit versprechen.

Und in der Tat beschränkt sich das "Engagement" solcher Schreier dann auch auf das Schreien und twittern, sich aber zu einer Abstimmungsmehrheit auf einem Parteitag zu organisieren ist dann gerne schon "zu aufwändig".

In der Vergangenheit hat genau das dann zu fiesem Streit und Verwerfungen geführt: Die Verrat-Schreier haben keine Mehrheit zusammenbekommen, pochten in der Folge dann aber immer auf die Zugehörigkeit zur "tatsächlichen" Mehrheit oder "verborgenen" Mehrheit - und fühlten sich mithin verraten und verkauft.

Insofern ist das "ich wurde verraten"-Gefühl völlig real! Man muss die entsprechenden Äusserungen - die ich selbst auch oben wieder im Wesentlichen als Schreierei abqualifiziere - also ernst nehmen und anerkennen.

Daher Dank, immer wieder Dank für Deinen Beitrag zum Thema, denn das ist der korrekte Umgang mit Anträgen, die man ablehnt.

hase

ein eventuell bald Ex-Pirat

schrieb am

"Verrat" stimmt durchaus; wer Delegierte mit einem ähnlichen Programm möchte, kann inzwischen auch DIB wählen. die haben wenigstens noch Schwung und neue Ideen. Auch die werden es zwar nicht schaffen, alle Delegierten an das Programm zu binden, da es das freie Mandat gibt, aber haben vielleicht eine Zukunft.

Zum Trost: Die paar Restteilnehmer der kommenden BPT werden dann gar keine Delegierten mehr brauchen; der Unterschied wird nicht groß sein. Und die Delegierten können sich dann ganz intim treffen, da es dann keine Basis mehr geben wird.

Volle Kraft der Eliten voraus auf den Eisberg!

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