Soziale Nachdenkerei

veröffentlicht von Esmeralda, geändert am , 2 Kommentare
eingeordnet unter
Vom 8.8. bis 12.9. war ich in psychosomatischer Reha. Dabei bin ich sehr nachdenklich geworden, vor allem, was Pflegeberufe anbelangt.

Ich war während der letzten fünf Wochen in einer Klinik, in der 300 Patienten mit den unterschiedlichsten Problemen betreut werden. Da sind Menschen mit schweren Depressionen, mit temporären Problemen wie beispielsweise der Tod eines nahen Familienangehörigen oder auch mit Burnout. Viele sind dort, weil ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, weil sie einfach überlastet sind und den Alltag nicht mehr bewältigen können. Ungefähr 80% der Patienten kommt aus sozialen Berufen: Kranken- und Altenpfleger, Erzieher, Lehrer, Physiotherapeuten. Das hat mich erschreckt.

Dass es gerade im sozialen Bereich nicht zum Besten steht, was die Arbeitsbedingungen anbelangt, wissen wir ja eigentlich. Wenn man sich mit Patienten in einer Reha-Klinik unterhält, wird einem das Ausmaß aber noch viel deutlicher bewußt. Es geht bei den körperlichen Gebrechen los: Der ständige Personalmangel führt dazu, dass sehr viele Pflegekräfte sich gewohnheitsmäßig körperlich übernehmen. Das führt vorwiegend zu Bandscheibenvorfällen, weil Arbeiten, die eigentlich zu zweit ausgeführt werden müßten (wie das Umlagern von Patienten), allein gemacht werden. Aber auch alles andere ist dabei: Knieprobleme, Überlastungsprobleme an den Schulter-, Ellbogen- und Handgelenken, völlig verspannte Schultern. Ermüdungserscheinungen und Schlafprobleme sind die Folge von zu wenig Erholungszeit, Überstunden werden vorausgesetzt.

Die psychischen Probleme entstehen durch den Zeitmangel, der trotz der Überstunden einfach ständiger Begleiter von Pflegekräften ist. Jeder Mensch, der arbeitet, hat einen gewissen Anspruch an die Qualität seiner eigenen Arbeit. Wenn man einen alten Menschen, der nicht mehr für sich selbst sorgen kann, nicht mit ausreichend Flüssigkeit versorgen kann, wenn man so einen Menschen stundenlang in der vollen Windel liegen lassen muss, wenn man weiß, dass der Mensch, den man pflegt und dessen Leben man leichter machen möchte, darunter leidet, dass man keine Zeit für ihn hat. Das frisst an der Seele.

Ähnliches gilt für Physiotherapeuten, deren Tag so durchgetaktet ist, dass sie nicht anders können, als ihren Patienten das Nötigste zu geben anstatt sie so zu behandeln, wie es gebraucht wird. Es gilt für Erzieher, die ebenfalls zu wenig Zeit für die Kinder und Jugendlichen haben, die sie betreuen. Es gilt für Lehrer, die in einem Korsett aus Lehrplan und Konventionen stecken und sich entweder auf die Rolle als reine Wissensvermittler zurückziehen anstatt wirklich pädagogisch tätig zu sein oder an ihrem Selbstanspruch zerbrechen. Es gilt für alle sozialen Berufe.

Die Gesellschaft, in der wir leben, geht derzeit mit denen, die auf Hilfe angewiesen sind, schlecht um und mit denen, die diese Hilfe leisten möchten, noch schlechter. Alles wird kommerzialisiert und privatisiert, alles wird auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtet. Menschliches Miteinander aber ist kein Wirtschaftsgut. Menschliche Bedürfnisse sind keine abstellbaren Optionen.

Menschen werden wie Dinge behandelt. Sie werden nach Nutzen und Leistungsfähigkeit beurteilt. Wer nicht mehr nützt, wer keine Leistung mehr erbringen kann, verliert seinen - meist ohnehin schon geringen - Wert.

Es muss eine Veränderung stattfinden hin zu einer menschlichen Einstellung, damit wir die Gesellschaft, in der wir leben, auch wieder eine Gesellschaft nennen können. Bisher habe ich keine Partei gefunden, die diese Veränderung wirklich herbeiführen will - außer den Piraten. Deswegen bin und bleibe ich Pirat.

Kommentare

Astrid

schrieb am

Ab 13.12 geht's los: Gesundheitspolitisches Programm

neuer Kommentar

Nutzen Sie Markdown, um Ihren Kommentar zu formatieren.

Vorschau

abbrechen