Depression
veröffentlicht von Esmeralda
Depression ist eigentlich ein gut dokumentiertes Thema. Es gibt -zig Blogs darüber, ebenso wie Videos, Websites und Social-Media-Kanäle. Braucht es da noch etwas? Im Prinzip nicht. Das Blöde ist: Wir haben gerade dieses Corona-Problem und ich sitze allein zuhause. Irgendwo muss ich damit hin und ich brauche auch ein wenig Hilfe, um mich mit ihr auseinanderzusetzen. Deswegen schreibe ich hier in loser Reihenfolge mal ein paar Artikel (vielleicht auch ein paar mehr, wer weiss, vielleicht fällt mir ja auch viel dazu ein).
Ich habe beschlossen, meiner Depression einen Namen zu geben - wir kennen uns seit fast vierzig Jahren, da kann man das schon mal machen. Sie heißt Stella, weil das, ebenso wie mein Vorname*, mit Sternen zu tun hat. Über Stella zu schreiben, fällt leichter als über eine anonyme Depression. Generell entzieht sich das Krankheitsbild ja auch jeglicher Normierung, eben wie alles, was mit Krankheiten zu tun hat. Fragt mal einen Orthopäden, ob er jemals zwei identische Beinbrüche gesehen hat. Also, warum sollte eine Depression nicht etwas Individuelles sein? Die Erkrankung ist chronisch, man schleppt sie für den Rest seines Lebens mit sich herum und die Therapie lehrt, dass man sich mit ihr arrangieren muss. Da kann man sie auch gleich personifizieren und ihr einen Namen geben.
Es gibt ein Buch zum Thema Depression mit dem schönen Titel Mein schwarzer Hund, das ziemlich viele Leute gelesen haben (und in den meisten Kliniken vorhanden ist). Frei nach diesem Buch nennen viele Leute ihre Depression einen schwarzen Hund. Das kann man auch machen, ganz, wie es einem gefällt. Wichtig finde ich es, die eigene Depression als individuell zu begreifen, so wie eben Fingerabdrücke, die Iris oder auch die Zähne** einzigartig sind. Sie können sicherlich ähnlich sein, sehen aber doch völlig unterschiedlich aus.
Mein Alltag wird durch Stella nicht einfacher, wahrlich nicht. Sie hat so einiges ganz hinten im Unterbewusstsein versteckt, unangenehme Dinge, üble Erfahrungen, Ereignisse, mit denen ich bis heute nur schwer fertig werde, ein paar Ängste, die noch da sind, solche Sachen halt. Sie hat diese Dinge eigentlich ganz gut im Griff, so dass Stella und ihre Kumpels mich üblicherweise nicht gar so arg belasten, meist ist es nur Alltagskram, den Stella rauslässt und mit dem werde ich im Normalfall ganz gut fertig.
Momentan ist aber nicht Normalfall. Momentan ist Arbeitslosigkeit, Corona, Alleinsein, Wände anstarren, Eskapismus via Netflix, Youtube und Konsorten, völlig gestörter Schlafrhyhtmus, bleierne Lähmung des eigenen Daseins, Unfähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, so gerne ich das möchte. Ich hatte schon immer solche Phasen, wo einfach nichts ging, wo vor mir ein Berg war, der so hoch schien, dass ich noch nicht mal die Energie aufbrachte, mich in Bewegung zu setzen (im übertragenen Sinne und buchstäblich, ich bin in Oberbayern aufgewachsen). Meine Lehrer haben mich faul genannt. Ich war nicht faul, ich war gelähmt. Das habe ich aber erst viel später begriffen. Wenn ich an meine Schulzeit denke, höre ich einen mehrstimmigen Lehrerchor: "Astrid, wenn du nur ein bisschen mehr tätest, du könntest so gut sein!" Mich schaudert nach wie vor bei dem Gedanken. Nein, ich bin nicht faul, sicher nicht.
In meiner Wohnung sieht's aus wie bei Hempels unterm Sofa, ich müsste dringend putzen, fürchte mich aber vor dem Zusammenbruch, der mich unweigerlich ereilt, sobald ich das Gästeklo sauber habe - weil er das immer tut. Das ist ein Sonderfeature von Stella. Sie motiviert mich, sie feuert mich an, sie erklärt mir, ich solle mich nicht so haben, ich wäre schließlich erwachsen und außerdem wäre gerade keine Dienstmagd vorhanden. Und wenn eine vorhanden wäre, dann könnte ich sie nicht bezahlen. Außerdem hülfe mir sowieso niemand außer mir selbst. Das wüsste ich doch schön langsam. Also, los.
Manchmal bringt sie es fertig und ich fange an und putze das Gästeklo. Vielleicht komme ich sogar dahin, mein Bett neu zu beziehen oder im Wohnzimmer durchzufegen und zu wischen. Und dann bin ich platt, dann kann ich nicht mehr. Ich sinke auf mein Sofa, erschöpft und entmutigt und Stella schimpft mich ein Weichei, einen Loser, ein stinkfaules Weib***. Ich sehe mich um und stelle fest, dass sie recht hat. Es ist keinen Deut schöner, kaum sauberer, der Wohlfühlfaktor in meiner Wohunung ist nicht im Geringsten gestiegen. Mir sinkt dann das Herz und ich flüchte mich in die wohligen Arme von Netflix, wo es immer irgendwas gibt, was mich von Stella ablenkt.
Irgendwie habe ich im Laufe der Zeit eine Strategie entwickelt, nach außen hin unfassbar tüchtig zu wirken. Das hat den Vorteil, dass ich mir die Sprüche über Faulheit nicht mehr anhören muss. Es ist aber wirklich anstrengend, dieses Außenbild aufrecht zu erhalten. Und so bin ich seit Jahren hundemüde. Insgesamt habe ich einen recht umfangreichen Werkzeugkasten an Bewältigungsstrategien entwickelt, damit meine Mitmenschen mich so wahrnehmen, wie ich denke, dass sie es erwarten. Oho, ich bin organisiert, notfalls auch mal rasend schnell. Das kostet viel Energie, die ich dann nicht mehr für mich habe.
Wenn ihr euch jetzt fragt, warum ich hier herumjammere, habt ihr mich falsch verstanden. Ich jammere nicht, ich stelle fest. Vor allen Dingen aber kläre ich für mich, wo der Hase im Pfeffer liegen könnte. Irgendwie muss ich ja möglichst unbeschadet durch diesen Lockdown kommen und gleichzeitig für einen Arbeitsplatz sorgen. Das Arbeitslosengeld reicht ja leider hinten und vorne nicht. Also muss der Kram von der Seele. Und das großartige am Internet ist, dass man sich Sorgen und Nöte von der Seele schreiben kann. Mit etwas Glück bekommt man dazu noch ein wenig Einordnungshilfe.
Das sollte für dieses Mal genug sein. Ich werde sicherlich noch weiter schreiben, vielleicht komme ich so hinter diejenigen Bewältigungsstrategien, die mir nicht nur nicht nützen, sondern sogar wirklich schaden. Ich will raus aus diesem Sumpf, und vor allem möchte ich Stella dazu bewegen, sich an einen gewissen Rahmen zu gewöhnen, damit wir koexistieren können. Denn eins weiss ich nun wirklich: Los werde ich Stella nicht mehr. Aber ich werde mit ihr leben können.
* Astrid ist altnordisch und bedeutet wohl soviel wie "schöne Göttin"; es gibt aber einige Leute, die den Namen mit dem lateinischen Wort für Stern, nämlich astrum in Verbindung bringen, und dann passt Stella wieder, weil das ein Synonym ist (also ebenfalls lateinisch).
** Wenn man jetzt nicht gerade sämtliche Zähne strahlend weiß überkronen lässt oder sich titanerne Zahnwurzeln einsetzen und die mit entsprechenden Zahnprotesen verschrauben lässt. Heutzutage ist ja alles möglich.
*** Das war übrigens der Wortlaut eines Deutschlehrers von mir, weil ich meine Deutschbücher und -hefte (inklusive der Hausaufgabe) daheim vergessen hatte. Ein entzückender Mensch. Gott hab ihn selig.
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